Satire: Merzi und die Rindvieh-Frage

Merzi ist bereit zu muhen und Gras zu fressen

Das Boot Deutschland sei voll, hatte Merzi väterlich und würdig erklärt, mit den Augen gerollt und sich am Kopf gekratzt. Das höre er von allen Seiten. Ein guter Schiffskapitän müsse sich jetzt der Fragen stellen, wieviel Leute das Boot fassen könne und wer von Bord müsse. Er als Politiker müsse unbedingt wissen, wie das Volk darüber denke. Die DCBuH sei schließlich eine Volks-Partei, er ein Volks-Vertreter und hoffentlich auch der DCBuH-Spitzen-Kandidat bei der nächsten Wahl. Seine Partei wolle den Sieg und er wolle nun endlich Kanzler werden. Das stehe ihm nach all den Jahren zu und nun müssten alle geschlossen hinter ihm stehen. Seine Brille war ihm bei den Worten vor Rührung beschlagen und Linni, sein treuer Sekretär, hatte ihm sein fast nicht benutztes Taschentuch gereicht und eifrig genickt.

Merzi hatte Linni, seinen Sekretär im Range eines Generals, also seinen Generalsekretär, bei diesen Worten vorwurfsvoll von oben herab angeschaut. „Das mit dem vollen Boot sei kein Problem für Merzi“, hatte Linni gestrahlt. Merzi sei ja Luft-Fahrt-Kapitän und besäße sechs Flugzeuge. Im Himmel und in der Luft sei noch unendlich viel Platz. Da müsse er sich keine Sorgen machen. Wie das zu Wasser aussehe, wisse er nicht und Merzi wahrscheinlich auch nicht. Aber alles sei im Lot, würde er als Süß-Wasser-Kapitän sagen. Dabei hatte er Merzi freudig angestrahlt.

Dumpfbacke, hatte Merzi ihn anfahren. Man spräche hier von großer Politik und von Völker-Wanderungen, die zurzeit stattfänden, jedenfalls in den Köpfen vieler Wähler. Natürlich wisse er, dass die Stimme des Volkes die Stimme eines Rindviehs sei. Vox Populi, Vox Rindvieh, habe sein Latein-Lehrer immer gesagt und Julius Cäsar wahrscheinlich auch. Er werde aber, wenn nötig, im Wahlkampf muhen und Gras fressen. Hauptsache Kanzler, so laute die Marsch-Route seiner Partei, wenn er das richtig verstanden habe. Und egal, ob die Wirtschaft sage, man brauche viele Arbeitskräfte aus aller Welt. Wenn Teile des Volkes das nicht rafften, müsse ein Volks-Vertreter auch nicht schlauer sein als der Stammtisch.

Wahlsieg und die gefährliche C-Frage

Was er nun eigentlich wolle, hatte Linni gekränkt gemosert. Er rede über volle Boote, das Volk, die Macht, Rinder und Stammtische. Er solle mal deutlich sagen, was er wolle, ihm sei schon ganz schwindelig bei so vielen Worten. Ob er dumm sei, hatte Merzi getobt und Linni eine Kopfnuss verpasst. Sie müssten die nächste Wahl gewinnen und er scheine den Ernst der Lage nicht zu erkennen. Die Politik-Kunst bestehe jetzt darin, das große „C“ im Namen der DCBuH mit einem erfolgreichen und volksnahen Wahlkampf zu verbinden. Die christlichen Kirchen in Deutschland hätten seit 1990 über ein Viertel ihrer Anhänger verloren. Im Jahr 2021 sei die Anzahl der Kirchenmitglieder erstmals unter die Marke von 50 Prozent der Gesamtbevölkerung gefallen. Die „Marke C“ sei kein Hit mehr. Die DCBuH müsse hier mehr bieten als das Kirchen-Programm, um zu gewinnen. Er habe festgestellt, dass das deutsche Volk in Krisenzeiten nach Führern suche. Er stehe zur Verfügung. Er sei konservativ von der Zehe bis zum Haupthaar und könne auch einen scharfen Ton vorlegen, wo gewünscht.

Sein Motto sei schon immer gewesen, Alles soll so bleiben, wie es ist. Das sei nicht nur der Slogan seines Lieblings Kaffees, sondern auch sein persönlicher Wunsch. Und den mächtigen Führer könne er auch geben. Er könne sich vorstellen, sich klonen zu lassen. Wenn er dann an zwei verschiedenen Stellen gleichzeitig aus einem seiner Flugzeuge steigen werde, dann wüssten alle Deutschen, die Merzi-Macht ist da, der Merzi ist überall, der Merzi ist mächtig. Merzi hatte in die Luft geschaut und mit den Fingern über sein Jackett gestrichen. Manchmal wünschte er sich, ein Pfau zu sein. Dann hätte er jetzt sein farbenprächtiges Gefieder gespreizt.

Linni und der neue Gruß aus Ratterborn

Und wo sein Platz sein solle, hatte Linni mit frommem Augenaufschlag gefragt. In der ersten Fan-Reihe hatte Merzi trocken erklärt. Er sei sein Sekretär und ob er eigentlich mit zehn Fingern Maschine schreiben könne und einen ordentlichen Kaffee kochen. Und jetzt sei er mal dran mit guten Ideen. Er sei schließlich der General Sekretär der DCBuH von seinen Gnaden. Da müsse man ihm doch nicht Alles vorkauen oder vordenken. Deutschland brauche einen Weckruf. Er solle sich dazu mal einen Kopf machen. Zur Verstärkung seiner Worte hatte er Linni gleich noch eine zweite Kopfnuss verpasst. Linni hatte heimlich Rache geschworen.

Dann hatte Merzi seinen Sekretär Linni wiederum bedeutungsvoll und von oben herab angesehen. Mit feierlicher Stimme hatte er erklärt, sein neuer Slogan laute „Wir machen Deutschland wieder groß“. Dabei hatte er mit den Fäusten auf seiner Brust getrommelt und „Tschaka, Tschaka“ gebrüllt. Das sei sein Kampf- und Kraftschrei, hatte er Linni erklärt. Linni hatte erstaunt geschaut und sich dann auf den Hintern geklopft und gerufen, „Macke, Macke“. Das sage seine Frau immer, wenn er in der Badewanne singe, hatte er erklärt. Zum Thema Weckruf fiele ihm ein, dass man sich in seiner Heimatstadt Ratterborn nun morgens mit den Worten grüße, “Grüß Gott, Allah ist groß und alle anderen Götter auch“. Der Rat der Stadt habe erklärt, dass man als Stadt vieler Kulturen nicht allein „Grüß Gott“ oder „Tach“ oder “Moin“ sagen könne, das sei Kultur-Arroganz.

„Mein Gott“, hatte Merzi gejammert. Damit sei doch kein Blumentopf zu gewinnen außerhalb der Westfälischen Steppe. Dieses Kultur-Gesäusel verkenne den nationalen Notruf der Mehrheit. Dieser Multi-Kulti-Gruß sei doch rot-grüne Hühner-Kacke. Er sei für ein knorriges Deutschtum, Bier vom Fass und Schinken-Brot.

Einwanderung, Sauerkraut und deutscher Fleiß retten die Welt

Ohne Frage brauche Deutschland Einwanderung. Abiturienten aus aller Welt seien ihm herzlich willkommen. Und wenn die ein Ingenieur-Diplom, ein Facharzt-Diplom oder einen Meisterbrief mitbrächten, sei er bereit, auf den Sauerkraut- und Pommes Essen-Test zu verzichten. Aber alle anderen sollten zu Hause bleiben und nicht die deutsche Gastfreundschaft ausnutzen. Wenn er irgendwo Urlaub mache und es ihm dort besser gefalle als zu Haus, könne er ja auch nicht einfach dableiben. So gedacht, wären das Sauerland und Ostwestfalen wahrscheinlich in kurzer Zeit ein Land ohne Menschen. Jetzt seien diese Regionen ein Raum ohne genug Facharbeiter und das sei schlecht so.

Linni hatte Merzi trotzig auf den Fuß getreten und erklärt, die Lösung sei doch ganz einfach in einem zwei Stufen-Leistungsplan zu erreichen. Für Deutsche sei der Plan ein Kinderspiel und oft erfolgreich durchgeführt. Erste Stufe: viele Deutschen müssten in arme Länder einwandern, das Land sozusagen übernehmen. Die Landnahme könne mit Bussen oder Flugzeugen geschehen, es müssten nicht unbedingt Panzer oder Bomber zum Einsatz kommen. Die Landnahme der spanischen Insel Mallorca, insbesondere der Region Ballermann auf der Insel, seien ein gutes Beispiel dafür. Zweite Stufe: die Deutschen brächten die armen Länder mit deutschem Fleiß wieder in Schwung. Dann kämen auch keine Armuts-Migranten mehr von dort. Wenn man so Land für Land vorginge, sei das Flüchtlingsproblem schon fast gelöst.

Merzi hatte anerkennend genickt. Linnis Denken stehe in guter deutscher Tradition. Am deutschen Wesen solle die Welt genesen, habe schon einmal ein kluger Deutscher erklärt und der sei immerhin ein deutscher Kaiser gewesen, wenngleich leider der letzte. Merzi hatte Linni krachend auf die Schulter gehauen und erklärt, wer so denke, sei ein Mann nach seinem Geschmack. Seine Regierung der nationalen Kraft und Erneuerung sei offen für alle Koalitionen mit deutschem Geist.

„So geht Sieg“, hatte Linni gestrahlt. Er hatte Merzi die offene Hand entgegengestreckt und gerufen, “Give me five“. Merzi hatte ihm die dritte Kopfnuss gegeben und erklärt, er solle mal nicht übermütig werden. Eine gute Idee sei ein Sonnenstrahl, aber noch kein Sommer und ein blindes Huhn finde auch mal ein Korn.